Auf den Wasserwegen der Zaren

Wer Russland mit seinen goldenen Kuppeln und pompösen Palästen erleben möchte, reist meist nach St. Petersburg. In Zeiten der Fußball-WM steht auch noch Moskau auf dem Programm. Doch vor allem jenseits der beiden  Millionen-Metropolen erfährt man etwas über die russische Seele, Geschichte und die unendliche Weite des Landes. Ganz entspannt geht das bei einer Flusskreuzfahrt mit der der „MS Rossia“ im stilvollen Ambiente.  Zwölf Tage und 1805 Kilometer war ich auf Wolga und Newa von Moskau bis St. Petersburg unterwegs.  

Schwimmendes Hotel

Unser schwimmendes Hotel, das 2016 komplett renoviert wurde, liegt für drei Tage im nördlichen Flusshafen von Moskau. Wer vom Hafen mit dem Bus oder Auto ins Zentrum fährt, erlebt den allmorgendlichen Verkehrsinfarkt der Hauptstadt. Schneller  geht es mit der Metro. Die Station ist zu Fuß nur ein paar Minuten vom Schiffsanleger entfernt, die dunkelgrüne Linie 2 führt direkt zum Roten Platz, das Herz von Moskau. Alle 90 Sekunden hält ein Zug, jährlich werden 2,5 Milliarden Fahrgäste transportiert. Mit fast 100 Stundenkilometern rauschen die Züge unter den mausgrauen Wohnblöcken der Vorstädte hindurch.

UNTERIRDISCHE PALÄSTE

Eine Besichtigung des Kremls und der Basilius Kathedrale gehören ebenso zum Pflichtprogramm wie das legendäre Kaufhaus GUM mit seiner Designer-Mode von Gucci bis  Versace, die sich eine russische Krankenschwester mit 300 bis 400 Euro Monatsgehalt allerdings nicht leisten kann. Moskaus Zentrum wirkt wie geleckt. Viel Geld ist in den letzten Jahren  vor der Fußball-WM in die Renovierung geflossen. Straßen, Fußwege und U-Bahnhöfe sind super sauber. Überhaupt ist Moskaus Metro, die bis zu 80 Meter tief unter der Erde liegt,  eine der schönsten der Welt. Die „unterirdischen Paläste“ an den  Ringstationen wurden in den 1930er Jahren zu Stalins Zeiten aus Granit und Marmor gebaut und von den besten Architekten und Künstlern gestaltet. Eine Fahrt  kostet nur 55 Rubel – egal, wie weit man fährt.

STYLISCHES AMBIENTE

Neu ist der Zaryadye Park, südlich vom Kreml, eine 13 Hektar große  Grünanlage mit gläserner Aussichtsplattform, die von    Einheimischen auch  „Selfiebrücke“ genannt wird. Von dort hat man einen guten Blick auf Moskaus Skyline mit historischem Zentrum,  Stalins Zuckerbäckerbauten  und die futuristischen  Glaspaläste des Geschäftsviertels von Moskau-City.

Auf Empfehlung von Olga, die gut Deutsch spricht und uns in der U-Bahn freundlich ihre Hilfe anbietet, weil wir an der falschen Station ausgestiegen sind, besuchen wir auch eins der beiden Lokale im Zaryadye Park, direkt neben der „Selfiebrücke“. Das Ambiente ist umwerfend, die Küche leicht und die Austern sind hervorragend. Aber auch sonst hat Moskau viele schöne Cafés  und Restaurants zu bieten. Wenn Moskaus historische Altstadt nachts beleuchtet ist, ist sie besonders erlebenswert.

TOUR DER 17 SCHLEUSEN

Am Abend des dritten Tages verlassen wir die Hauptstadt über den Moskwa-Kanal Richtung Uglitsch. Vor uns liegen 1805 Kilometer auf den Wasserwegen der Zaren. 160 Meter Höhenunterschied sind mit Hilfe von 17 Schleusen auf Flüssen, Kanälen und Stauseen zu bewältigen, bis wir  St. Petersburg – Russlands Tor zu Europa – erreichen.

Gemütlich startet die russische Wallachei am nächsten Morgen in den Tag, während wir im Gourmetrestaurant Onegin das Frühstück genießen.  Versteckt zwischen endlosen Birkenwäldern liegen kleine und größere Datschas (Wochenendhäuser) aus Holz. Sechs Schleusen des 128 Kilometer langen  Moskwa-Wolga-Kanals, der 1937 eröffnet wurde und auch als „himmelblaue Treppe“ bekannt ist,  haben wir in der Nacht passiert, um in die Wolga zu gelangen.  Mit 3530 Kilometern ist sie  der längste Fluss Europas.

FAHRT ÜBER DEN MARKTPLATZ

Rund drei Stunden vor Uglitsch erwartet uns ein seltsamer Anblick – der überflutete Glockenturm von Kaljasin, der noch ein Stück aus dem Wasser des Uglitscher Stausees herausragt. „Gleich fahren wir über  den ehemaligen Marktplatz der Stadt“, erklärt unser deutschsprachiger Reiseleiter Nikolai, der uns die ganze Tour begleitet.

Uglitsch ist eine Kleinstadt mit 40.000 Einwohnern, die wie viele andere Städte auf unserer Route einen Kreml (= Festung) und sehenswerte Kirchen, Kathedralen und Klöster besitzt. Uglitsch gehört zu den Städten des „Goldenen Rings“ um Moskau und ist vor allem wegen der traurigen Geschichte von der Ermordung des kleinen Zarensohns  Dimitrij im 16. Jahrhundert bekannt, dessen Vater als Iwan der Schreckliche in die Geschichte einging. Dem Andenken des Kindes ist die  bezaubernde rot-weiß verzierte Demetrios-Kirche mit fünf Kuppeln gewidmet.

WELTKULTURERBE JAROSLAWL

Über die zum Rybinsker-Stausee aufgestaute Wolga, für den in den 1930er-Jahren 700 Dörfer geflutet  und 150.000 Bewohner umgesiedelt wurden, geht es  nach Jaroslawl an der Wolga. Auf dem  4580 Quadratkilometer großen Stausee ist teilweise kein Land in Sicht. Hier offenbart sich erstmals die unendliche Weite Russlands.  In der Tsar-Panorama-Bar können wir  den Vorträgen  unseres Reiseleiters Nikolai  zu Land und Leuten lauschen, Russisch lernen oder auf dem großen Sonnendeck entspannt die Ruhe und den Blick in die weite Landschaft genießen.

In Jaroslawl, das erstmals im 11. Jahrhundert erwähnt wurde, steht das Ensemble des Erlöser-Klosters, das zwischen dem  12. und  17. Jahrhundert  erbaut wurde. Die Altstadt gehört zum Weltkulturerbe der Unesco. Guide Alexej, im Hauptberuf Englisch- und Deutschlehrer,  versteht es, uns  mit viel Humor die Geschichte der Stadt nahe zu bringen. Die Distanziertheit der Russen in Moskau weicht einer natürlichen  Herzlichkeit und Offenheit. In Jaroslawl gibt es auch eine Fußgängerzone, hübsche Cafés, und eine Markthalle, die sogar am Sonntag geöffnet ist. Vom Angebot her kann sie sich mit jedem deutschen Wochenmarkt messen. Und es gibt eine Glockenspielerschule – wir bekommen eine Kostprobe.

MÜTTERCHEN WOLGA

Auf demselben Teilstück geht es zurück zur  Rybinsker-Schleuse (290×30 Meter), die wir zum zweiten Mal – diesmal bei Tag –  passieren. Bei der Ausfahrt aus der Schleuse erhebt sich auf dem Damm des Schleusenkanals  „Mütterchen Wolga“,  eine allegorische 24 Meter  hohe Statue.

MUSEUMSINSEL KISHI

Die kommenden beiden Tage führen uns nach Gorizy am Beloe See mit seinen kleinen Bauernhäusern und dem Kirillow-Kloster. Von dort geht es zur Museumsinsel Kishi im Onega See (18mal größer als der Bodensee). Durch sechs Schleusen wird die „MS Rossia“ in der Nacht auf Höhe des Onega Sees gesenkt. Dieser See bleibt immer bis April gefroren. Karelien – das sind stille  Landschaften, unermessliche Wälder und nahezu unberührte Natur. Es scheint wie eine Fortsetzung der finnischen Seenlandschaften  nach Osten. „Der Unterschied zwischen Sommer und Winter in Karelien besteht darin, dass man den  Pelzmantel offen lässt oder zuknöpft“, erklärt Guide Juliana schmunzelnd.

Der ganze Stolz der Museumsinsel Kishi (6x1km), die inmitten dieser Schärenlandschaft  liegt, ist das „Pogost“, ein Holzkirchen-Ensemble: Dazu gehören die 22-kuppelige  Christi-Verklärungskirche (1714), die Maria-Schutz-Kirche (1764) und der Glockenturm mit dem Zeltdach (1874). Seit 1990 ist es Weltkulturerbe. Außerdem steht dort die älteste Holzkirche Russlands. Einhundert Menschen leben hier in zwei Dörfern.

KÜNSTLERDORF MANDROGI

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Über den Fluss Swir erreichen wir den Ladoga See, wo die „MS Rossia“ für einen kurzen Abstecher im Künstlerdorf Mandrogi anlegt, das für seine russische Handwerkskunst  bekannt ist. Etwa 200 Menschen wohnen und arbeiten dort ganzjährig. Von dort aus sind es noch 287 Flusskilometer bis St. Petersburg, der schönsten und europäischsten Stadt Russlands.

EIN HAUCH VON FABERGE

Bei einer einstündigen Bootsfahrt auf der Newa und den vielen verzweigten Kanälen ist die prachtvolle Architektur der Stadt mit ihren verspielten Fassaden zu sehen. Während der „Weißen Nächte“ im Sommer sind die nachts hochgeklappten Brücken und das beleuchtete St. Petersburg besonders beeindruckend. Drei Tage Zeit bleiben uns in St. Petersburg, um die Eremitage, den Katharinenpalast mit Bernsteinzimmer, den Peterhof – das russische Versailles – , die Peter-Paul-Festung und  andere Sehenswürdigkeiten wie die Blutskirche, die Kasaner Kathedrale oder die St.-Isaak-Kathedrale zu erkunden. Diesmal habe ich sogar noch Zeit für einen Besuch des Fabergé-Museums, in dem u.a. neun kunstvolle Ostereier des kaiserlichen Hofjuweliers, ausgestellt sind. Aber es gibt noch so viel zu sehen, ich muss unbedingt noch einmal wiederkommen…

Wichtige Reiseinfos in Kürze

Anreise

Ab Berlin, Frankfurt, München mit dem Flugzeug. Deutschsprachige Reiseleitung ab Flughafen Moskau/St. Petersburg. Die Reise wird auch in umgekehrter Reihenfolge angeboten.

MS Rossia

Alle 112 Außenkabinen auf der MS Rossia, davon 72 Deluxe- und  sechs Premium-Kabinen, bieten ein behagliches Wohnambiente und sind mit Glasduschkabine & WC, Klimaanlage, Kleiderschrank, Kühlschrank, Föhn, Safe, LCD TV und WLAN (22 Euro für die gesamte Reise), freies WLAN gibt es in Rezeptionsnähe, ausgestattet. 224 Passagiere (das Publikum ist international), 100 Besatzungsmitglieder. Für Notfälle ist ein Arzt an Bord.  Zum Frühstück und Mittagessen gibt es Buffet, das Abendessen findet in einer Sitzung statt. Zwei Bars, jeden Abend Livemusik. Schiffsdaten: 125 m Länge, 16,7 m Breite, 2,8m Tiefgang, 3000 PS, drei Kabinendecks, ein Fahrstuhl verbindet die Kabinendecks, Stromspannung 220 Volt, ein Adapter ist nicht erforderlich.

Vorbereitung

Für die Reise sind ein noch mindestens sechs Monate gültiger Reisepass und ein Visum (90 Euro) erforderlich, das rechtzeitig beantragt werden muss. Der Veranstalter ist dabei behilflich. Die russische Währung ist der Rubel.

Literatur

„Moskau“, von Eva Gerberding, Dumont, 292 S. 17,99 Euro. „St. Petersburg – Lebensfreude an der Newa“, Lothar Deeg, 120 S., 9,95 Euro.


Hinweis in eigener Sache: Dieser Artikel wurde teilweise von Reiseveranstaltern, Restaurants, Hotels, Fluggesellschaften und/oder Tourismusagenturen unterstützt. Wir legen größten Wert auf unabhängige und neutrale Berichterstattung; daher entsprechen die Meinungen, Eindrücke und Erfahrungen der jeweiligen Autoren ihren persönlichen Ansichten.

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Liane Ehlers
Liane Ehlers
Liane Ehlers war fast 20 Jahre verantwortliche Redakteurin für das Wochenendjournal der Nordwestzeitung in Oldenburg, der größten Tageszeitung im Weser-Ems-Gebiet. Neben Lifestyle, Wellness, Medizin und Ratgeber gehörte auch Reise dazu, ihr Lieblingsressort. Sie hat ihren Traum verwirklicht. Jetzt ist sie als freie Reisejournalistin für die NWZ und andere Medien unterwegs.